Viele haben es hoffnungsvoll begrüßt: Die neueste EU-Kommissionsvorlage zum Saatgutrecht ist fürs Erste abgelehnt! Überall in Europa sind tausende Bürger gegen den Beschluss dieses Vorschlags Sturm gelaufen, weil dies den weiteren Verlust von Obst-, Gemüse- und Getreidesorten und noch stärker eingeschränkte Zugangsrechte zu Saatgut bedeutet hätte.
Aber gibt die Mehrheit, mit der die Vorlage im EU-Parlament wie im EU-Agrarausschuss zurückgewiesen wurde, nun auch Grund zur Hoffnung auf eine grundsätzliche Richtungsänderung bei der Saatgutgesetzgebung? Dringend notwendig wäre dies. Denn schon in seiner augenblicklichen Form dient das europäische Saatgutrecht den Ansprüchen der Allgemeinheit wenig.
Im Gegenteil: Fachleute sind sich einig, dass die aktuellen Regelungen für die Marktzulassung von Nutzpflanzensorten erheblich zum bedrohlichen Rückgang der Sortenvielfalt in den letzten Jahrzehnten beigetragen haben. Wer dabei von einer ernsten Bedrohung spricht, übertreibt nicht. Immerhin setzt das weitere Schwinden der Vielfalt unserer Kulturpflanzen genetische Ressourcen aufs Spiel, die öffentlich verfügbar bleiben müssen, um uns auch in Zukunft konzernunabhängige Nahrungssicherheit zu garantieren!
Um diese brisante Entwicklung zu stoppen, muss mehr geschehen als die Ablehnung einer aktuellen Gesetzesänderung. Schon jetzt ist die Berufsfreiheit von Landwirten und Gärtnern betroffen, weil Konzernmacht und Gesetzgeber ihnen (früher selbstverständliche) Privilegien der eigenständigen Sortenwahl und Saatgutgewinnung genommen haben. Und schon jetzt haben Verbraucher nicht mehr die Wahl, selbst zu bestimmen, was auf ihre Teller kommt, weil unzeitgemäße Zulassungsregeln Neuzüchtungen aus Ökobetrieben und alte Sorten mit weniger standardisierten Eigenschaften vom Markt fernhalten.
Wenn die Obst- und Gemüseabteilungen (nicht nur) im Biohandel eines Tages wirklich die freie Wahl bieten und Verbraucher dort farbenprächtige, vielgestaltige, aromatische Früchte der unterschiedlichsten Sorten vorfinden sollen, dann brauchen wir ein ganz anderes europäisches Saatgutrecht: eins, dass dem berechtigten öffentlichen Interesse an Erhaltung und Förderung der Nutzpflanzenvielfalt und an der allgemeinen Zugänglichkeit dieser wichtigen Ressource sehr viel besser Rechnung trägt als das bisherige!
Es grüßt Sie herzlich Ihr Georg Kaiser.