Ella Danz betrieb Anfang der 80er Jahre ein Naturwarenhaus in West-Berlin namens "Viva Verde". Sie hat sich für uns ein wenig Zeit genommen und uns erzählt wie das damals so war. Heute schreibt Sie erfolgreich Kriminalromane in denen Essen und Lebensmittel auch stets eine Rolle spielen:
sie betrieben Anfang der 80er Jahre ein Naturwarenhaus in Berlin. Wie kam es dazu?
Wie so viele waren wir in den Siebzigern durch Anti AKW Bewegung und später durch unseren Nachwuchs für die Themen Umweltschutz und gesunde Ernährung ganz allgemein sensibilisiert worden. Damals bedurfte es meist langer Wege, um an gute Lebensmittel zu kommen. Ich fühlte mich nach dem Abschluss meines Studiums (Publizistik, Theaterwissenschaft und Sinologie) mit dem Magister Artium bestens gerüstet, dies zu ändern und in den Handel mit ökologischen Produkten einzusteigen.
Beschreiben Sie uns doch mal bitte kurz Ihren Bio-Laden von damals?
In Westberlin gab es wenige, oft kleine, manchmal etwas verkramte Läden mit sehr individuellen Öffnungszeiten. Wir dachten, das könnte vielleicht auch anders gehen: Große, helle Räumlichkeiten, in die sich nicht nur Eingeweihte wagen, wo man freundlich bedient und ausführlich beraten wird, wo es Spaß macht einzukaufen. Und so entstand Viva Verde, das Naturwarenhaus mit allem, was man im weitesten Sinne an ökologischen Produkten damals auftreiben konnte, also neben Lebensmittelvollsortiment auch Umweltpapier, Naturkosmetik, Reinigungsmittel, Holzspielzeug, Getreidemühlen, Geschirr aus beschützten anthroposophischen Werkstätten, Tapeten und Farben, Naturtextilien, Schuhen, Teppichen und, und, und - bis hin zu Ökotoiletten, tatsächlich!
Wo kamen in diesen Anfangszeiten die Produkte her? Gab es die heutigen „Großen“ Produzenten schon?
Na, es gab schon eine ganze Reihe Lieferanten im Naturkostbereich. Natürlich war das nicht so professionell wie heute, Computer wurden noch selten genutzt, das Fax war schon ein Riesenfortschritt gegenüber der Bestellung am Telefon. Dafür war der Kontakt zu den Lieferanten persönlich, man war nah beieinander und vielleicht war deshalb auch manches besser kontrollierbar. In Berlin versorgte der Terra Naturkostgroßhandel die Läden, Brot und Backwaren stammten damals schon vom Märkischen Landbrot oder dem Backhaus. Aber daneben hatten wir auch jede Menge Kleinstproduzenten. Einer lieferte uns die Energiebällchen, der andere vegetarische Frühlingsrollen, Yin&Yang hieß eine kleine Brotaufstrich-Manufaktur. Und es gab natürlich auch schräge Typen, wie den Mann, der jeden Monat aus Frankreich mit einem wunderbaren Käse anreiste – in einem klapprigen Campingbus, wo er neben seinem Käse schlief und sich in Geruch und Aussehen diesem immer mehr anzugleichen schien. Aus der Holledau kam jede Woche ein bunt bemalter Truck von den C&S Importers angefahren mit Ölen, Wein, Reis aus der Camargue und natürlich dem „Zopf“, dem Infoblatt für die Naturkostszene. Rapunzel belieferte uns Läden noch direkt mit seinem Nussmus, Nudeln und der ersten Schokolade in Bioqualität. Marken wie Logona und I&M Kosmetik, Sodasan oder Barnhouse Krunchy und viele andere, hatten damals schon ihre Anfänge. Ich würde sagen, die meisten „Großen“ von heute haben damals schon klein angefangen.
Was können Sie uns über die Bio-Kunden der erste Stunde sagen?
Das war eine bunte Mischung. Es gab überzeugte Ökos, die bei uns einkaufen kamen, aber dem Laden skeptisch gegenüberstanden. Manchen von denen war es einfach zu schick. Auch unsere Computerkasse erregte immer wieder Argwohn. Scanner, so wie heute, hätten zu einem mittleren Aufstand geführt. Als wir Fleisch und Wurst(abgepackt) ins Sortiment aufnahmen, fielen wir bei einigen in Ungnade, und es gab erregte Diskussionen zwischen Fleischkäufern und Vegetariern. Wir hatten viele Schauspieler, Künstler, auch Politiker, unter unseren Kunden. Ein Obergrüner kam grundsätzlich am Samstag nach Ladenschluss, wenn er von der Sitzungswoche in Bonn heimkehrte, versorgte sich mit Biogemüse und anthroposophischer Literatur. Ein weltbekannter Regisseur erkundigte sich stets sehr genau nach der Herkunft unserer Bio-Eier, eine Sängerin brachte einen Fotografen für eine Homestory mit, um ihren Einkauf im Ökoladen zu demonstrieren. Es gab Menschen, die mit dem Pendel ihren Speisezettel zusammenstellten – was manchmal zu sehr einseitiger Ernährung führte, wenn nur Quark zu positivem Ausschlag führte. Aber der Großteil unserer Kunden waren ganz normale Leute, Alte und Junge, viele Familien mit Kindern – wir hatten unser Ziel erreicht, Bio aus der Nische zu holen und für alle attraktiv zu machen.
Vermissen sie die Zeit? Was war das besondere am Berlin zu dieser Zeit?
Die Naturkostladner fühlten sich als Teil einer Bewegung, die meisten Läden waren Inhabergeführt und jeden Monat gab es ein Treffen, auf dem man sich austauschen konnte. Die Läden waren immer auch Kommunikationszentren für die Kunden, die Anwohner. Zwar hatten wir Kunden aus der ganzen Stadt, aber die meisten kannte man, Duzen war an der Tagesordnung. Hin und wieder ein persönliches Schwätzchen gehörte dazu, man tauschte sich aus, gab eine Essigmutter weiter oder einen Hermann-Ansatz, Tipps fürs Brotbacken oder die Aufzucht von Sprossen, Unterschriftenlisten gegen Autobahnbau und Tierversuche lagen aus, die Unterstützung der Anti AKW Bewegung oder von Green Peace war selbstverständlich. Es war eine bewegte, bewusste Zeit im alten Westberlin. Man darf nicht vergessen, es gab kein Umland, und an Urban Gardening, Bio Anbau auf dem Dach, Stadtimkern und ähnliches dachte noch niemand. Ich freue mich heute über die vielen spannenden Projekte in der Stadt. Durch mein Engagement bei Slow Food bekomme ich da so einiges mit und ich bin froh, damals aktiv dabei gewesen zu sein, aber ich vermisse das nicht.
Wie hat sich Bio und die Biobranche für Sie entwickelt? Was halten sie von der BIO COMPANY?
Die Biobranche ist in den letzten zehn Jahren ja förmlich explodiert, sicherlich professioneller geworden und Biolebensmittel sind leichter denn je allerorten einzukaufen. Allerdings verändert sich natürlich mit der Quantität auch die Qualität. Statt der alt eingesessenen Anbauverbände, sehe ich immer häufiger das EU Bio-Siegel, das für mich den niedrigsten Standard von Bioqualität darstellt. Ich habe auch Probleme mit Obst und Gemüse aus Übersee, damit zu allen Jahreszeiten alles angeboten werden kann. Für mich als Slow Foodie ist regional und saisonal dann manchmal wichtiger als Bio. Mehr zum Thema Slow Food gibt es hier. Ich kaufe auch öfter in der Bio Company und freue mich besonders über die Initiative fair®ional.
Was tun Sie heute?
Mitte der Neunziger Jahre, habe ich mit dem Schreiben begonnen und nach einer weiteren Station im Ökohandel, diesmal mit Naturtextilien, habe ich vor 10 Jahren das Schreiben zum Beruf gemacht. Im Juli erscheint mein neuer Kriminalroman „Schockschwerenot“. Es ist der 9. Band einer Serie, in der ein genussfreudiger, kochender Kommissar namens Angermüller ermittelt, dem die Qualität und Herkunft seiner Lebensmittel mindestens so wichtig ist, wie mir.
Mehr Informationen dazu auf meiner Website unter www.elladanz.de
Wir danken für das Gespräch!
Veröffentlicht am 23. Juni 2015